Besprechungen

Ursula Winkler M.A, Kunsthistorikerin

Zur Ausstellung "WAS BLEIBT", Kunsthaus Villa Jauss, Oberstdorf, März 2016

Oberstdorf - Zwei Maler, starke Bilder: Horst Heilmann und Kilian Lipp zeigen neue Werke. Die Villa Jauss führt die beiden geschätzten Künstlerpersönlichkeiten des Allgäus für gut zwei Monate zusammen - eine Idee von Kilian Lipp. In einem grandiosen Gegenüber werden Gemeinsamkeiten und Gegensätze zweier leidenschaftlicher Routiniers der Malerei sichtbar gemacht. Die Motivation für diese besondere Ausstellung erklärt der Titel "was bleibt": Im Zuge von Arbeit und Erfolg stellt sich die Frage, was wichtig ist und überdauern kann - Antworten geben Horst Heilmann und Kilian Lipp gemeinsam.

Die inspirierende Ausstellung findet in den holzgetäfelten Räumen der Villa Jauss statt. Die ehrenamtlich geführte Galerie steht für berühmte Namen und Newcomer, aktuelle Kunst und Kunstgeschichte gleichermaßen - Hauptsache Qualität. Der Blick auf die deutsche und internationale Kunst verstellt nicht den Blick auf die Kunst in der Nachbarschaft. Das Publikum findet in der Villa Jauss in jeder Ausstellung hervorragende Kunst, die es wert ist, aufmerksam betrachtet, genossen und auch gesammelt zu werden.

Kilian Lipp und Horst Heilmann. Beide Künstler sind überregional bekannt, mit Kunstpreisen ausgezeichnet, in vielen, darunter öffentlichen Sammlungen vertreten. Beide wirken in ihrer Heimat - der eine in Kempten, im städtischen Atelier, der andere auf dem Gailenberg, mit Kunsthaus im denkmalgeschützten Bauernhaus. Der eine malt auf Papier, der andere ausschließlich auf Leinwand. Der eine malt aus dem Kopf im Atelier, der andere draußen in der Natur. Der eine liebt das Schwarz, der andere akzentuiert mit Gold. Beide befassen sich motivisch mit Landschaft, Räumen, Frauen, Männern, Häusern, Bäumen ... Die vordergründigen Gemeinsamkeiten lassen die tieferen Gegensätze ihrer künstlerischen Auffassung umso deutlicher vor Augen treten. Diese besondere duale Ausstellung bietet einen Intensivkurs für das, was "Painting" vermag. Zwei Paletten, zwei Malweisen, zwei Bildwelten treten in Dialog und schärfen den Blick für zwei Extreme. Kilian Lipp übersetzt wie kein anderer die nuancenreiche Farbigkeit und Atmosphäre der Allgäuer Berghänge in luftige Leinwände. Horst Heilmann erfindet raffinierte Räume und konfrontiert den Betrachter mit der Blöße der menschlichen Existenz. Beide Künstler arbeiten figürlich, aber weit entfernt von einem Realismus. Kilian Lipp zeigt seine Hirten, Kühe und Mädchen formal erkennbar, imaginiert einen Bildraum, der an eine unzerstörte Kulturlandschaft gemahnt. Bei Horst Heilmann sind Gesichtszüge, Augen, Details seiner Frauendarstellungen erkennbar, doch sie treten nicht nach außen, sondern beziehen sich auf eine komplexe Innenwelt.

Beide Künstler verstehen es meisterlich, das für sie Zentrale ins Bild zu setzen: Den Menschen in seinem schieren Dasein und in seiner kulturellen Geformtheit, die Landschaft in ihrer Natur und in ihrer Verletzlichkeit, die gebaute Architektur in ihrer Schönheit und in ihren zwiespältigen Funktionen. Diese Zusammenschau mit neuen Bildern bietet einen Höhepunkt im Kunstjahr 2016 und ein Muss für alle, die Kilian Lipp und/oder Horst Heilmann schon schätzen und gerne neue Dimensionen ihrer Werke kennenlernen möchten. Der Titel "was bleibt" bedeutet für beide ein Programm ihres Künstlertums, in dem es um Befragung, Erhalt oder auch Korrekturen von persönlichen Lebensräumen, Lebensentwürfen und Wertvorstellungen geht.

 

 

Dr. Peter Fassl, Bezirksheimatpfleger Schwaben

Würdigung zum Denkmalpreis des Bezirks Schwaben 2008

Sanierung des ehemaligen Bauernhauses in Gailenberg, Hs.Nr. 13, 87541 Bad Hindelang, 2007 / 2008.

Bauherr und Eigentümer: Annette und Kilian Lipp, Vorderhindelang.

Der an einem steilen Hang 1.000 m hoch gelegene Weiler Gailenberg über Hinde­lang wird Ende des 14. Jahrhunderts urkundlich erwähnt. Peter Lipp war 1640 der erste belegte Besitzer des Anwesens, das bis 1938 im Eigentum der weitläufigen Familie blieb und 2007 von Annette und Kilian Lipp wieder erwor­ben werden konnte.

Obwohl das Haus fast vierzig Jahre leer stand und durch Wassereintritt im Keller auch Schädigungen der Bausubstanz eintraten, war die Grundstruktur zwar ver­wahrlost, aber nicht ruinös. Bei dem Bauernhaus mit Stall im Unter­geschoß, das im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammt, handelt es sich um einen Blockbau im Erd- und Obergeschoß mit ausgebautem nördlichen Längsschopf und aufgesteiltem Satteldach. Im Westteil des Hauses befinden sich Heuschinde und Tenne aus Holzfachwerk mit Bretterschirm. Das Unter­geschoß ist aus Bruchsteinen gemauert. Die Ostseite des Hauses ist mit rund geschnittenen Kleinschindeln verkleidet, die Südseite war verputzt und wurde neu verschindelt.

Die Sanierung und Umnutzung zu einer Galerie – Kunsthaus Lipp – wurde von dem Kunstmaler Kilian Lipp geplant, mit hoher Eigenleistung und örtlichen Handwerkern in einem Jahr durchgeführt.

Das Ergebnis ist faszinierend, da im gewissen Sinn durch die neue Nutzung die baulichen Grundstrukturen und Elemente und die Geschichte des Bauern­hauses erst wahrnehmbar zur Geltung kommen. Von der Tenne aus ist der Blockbau, das Untergeschoß, der Kammeranbau des 19. Jahrhunderts bis zu Details wie Trockengestell (kleiner Balkon) und Arbeitsspuren im Einzelnen erkennbar. Die Außenmauern wurden unterfangen, im nördlichen Bereich das Erdgeschoß durch eine Betonplatte gesichert, ein Ringanker stabilisiert das Untergeschoß.

Der hochwertig ausgestattete Blockbau konnte nahezu vollständig erhalten werden, die Ruckerfenster wurden so weit notwendig rekonstruiert. Die neuen Aus­stattungsteile setzen sich gestalterisch und im Material mit dem Bestand ausein­ander bzw. fügen sich als Altmaterial nahtlos in den Baubestand ein. Die Nutzung als Galerie erhebt das Haus zu einem Kunstobjekt und lässt doch die ursprüngliche Funktion prägend erkennbar. Die Präsentation der Gemälde im ganzen Gebäude ist faszinierend.

Kilian Lipp hat sich in seinem künstlerischen Werk über Jahrzehnte mit den unscheinbaren kleinen alpinen Schutz- und Vorratsgebäuden auseinander­gesetzt und sie als Teil des sorgsamen und heute gefährdeten Umgangs mit der Natur betrachtet. Mit der Erhaltung und Umwandlung des Bauernhauses in Gailenberg mit dem Hausnamen „beim Pfloudar“, das früher die Hausnummer 1 hatte, hat er einen wichtigen Denkanstoß zur Erhaltung und Weiterentwick­lung der alpinen Bauernhauskultur gegeben.

Prof. Dr. Bernd Küster - Leiter des Landesmuseums Oldenburg

Zur Ausstellungseröffnung am 24. 6. 2006 im Historischen Rathaus zu Leer / Friesland

„Wenn ich überhaupt eine Theorie habe zu meinen Bildern, dann die der Suche nach den wesentlichen Themen“. Das ist die sympathischste und knappste Malertheorie, die ich kenne. Sie erscheint auf den ersten Blick ein wenig trivial, so als sei die gar keine Theorie. Auf den zweiten Blick aber ist sie das Resultat einer Summe von Erfahrungen, die ein gestandenes Malerleben umschließt.

Ich freue mich, Ihnen den Maler Kilian Lipp heute vorstellen zu dürfen, der einer Region entstammt, in der wir Urlaub machen sollten. Seine Bilder aber, so sehr sie an die Landschaft um den Gailenberg bei Hindelang gebunden sind, geben uns keine urlaubsträchtige Idylle,  sondern zeigen Ausschnitte einer eher unbehausten Natur, die wie beiläufig im Allgäu ihre Vorbilder hat. Dort wurde Kilian Lipp 1953 geboren und fand sehr früh, vom Vater geleitet und gefördert, zu einem besonderen und nachhaltigen Verhältnis zur heimischen Natur, die seine Leidenschaft zur malerischen Umsetzung dieser Verbundenheit auslöste. Nach dem Abitur fuhr er ein Jahr lang  als Ingenieurassistent auf einem Frachtschiff zur See, studierte anschließend Design und Malerei in Krefeld und kehrte 1981 als gestandener Maler ins Allgäu zurück.

Er ist ein Sohn jener Landschaft, ein bekennender Sohn, der sein Heimatempfinden im Malerischen aufgehoben hat. Solche Verklammerung eines künstlerischen Werkes mit der vertrauten Region begann vor 120 Jahren; als sich junge Maler in ländlicher Abgeschiedenheit ansiedelten, um ein neues Selbstwertgefühl, eine neue Identität zu finden. So geschah es Ende der 1890er Jahre im nicht allzu fernen Worpswede, wo sich zuerst Otto Modersohn, Fritz Mackensen und Hans am Ende niederließen. Das war kein einfacher Ortswechsel, sondern künstlerisches Programm. Abseits der zivilisierten Welt sollte in einem unreglementierten Umgang mit der Natur ein neues Verhältnis zur Wirklichkeit gefunden werden, eines, das übers Oberflächliche weit hinaus, bis in die Tiefen der eigenen Seele führen konnte. Seelenlandschaften im Sinne der Romantiker schufen auch noch die Worpsweder gegen Ende dieses wohl bedeutendsten Jahrhunderts für die Landschaftsmalerei. Und immer neue Formen der Auseinandersetzung wurden künstlerisch entdeckt, um diese Nähe, diese Schicksalsgemeinschaft von äußerer und innerer Natur zu beschwören und in eine künstlerische Form zu giessen, bis hin zum Expressionismus, bis zur Abstraktion.

Heute, am Ende eines weiteren und bewegteren Jahrhunderts, stehen wir der Natur wie einer selbstverschuldeten Katastrophe gegenüber und sind angenehm überrascht, wenn wir totgeglaubte Flüsse noch oder wieder am Leben finden und in den Wäldern ein vitales Grün an den geschädigten Bäumen erblicken. Hilflos stehen wir am Rande eines ökologischen Desasters und haben es doch willentlich oder fahrlässig selbst herbeigeführt, jeder einzelne von uns. Dabei sind es unsere eigenen heiligen Ressourcen, die wir missbrauchen, äußere Natur ist nach wie vor ein Teil von uns selbst. So vermittelten es bereits die romantischen Maler in ihren dunklen schweren Landschaften, so verkündeten es noch die Künstler des späten 19. Jahrhunderts. Und so malt es heute wieder und immer noch  Kilian Lipp, auf seiner Suche nach den wesentlichen Themen, die er, wie seine künstlerischen Ahnen, aus dem behutsamen malerischen Umgang mit der Natur, mit seiner heimatlich gestimmten Landschaft bezieht. Die Interessen der bildenden Kunst haben sich offenbar nicht grundlegend gewandelt.

„Der Künstler soll“, schrieb Johann Wilhelm Schirmer, einer der Stammväter der romantischen Landschaftsmalerei, im Jahr 1833 an seine Mutter, „die Natur und die schöne Natur wiedergeben, welche geistige Eigenschaften sind hierzu nötig? Ein kindlich natürlicher Sinn, der jedes Ding so ansieht, wie es ist, der also immer offene Augen und ein warmes Herz mitbringen muss, wenn er mit richtigem Ernst seinen Beruf leben will und deshalb sind diese schönen Eigenschaften so nötig, weil nur diese objektiv ein Kunstwerk beleben können...“[i]

Das ist zwar ein etwas antiquierter, aber auch ein guter Ausgangspunkt für das malerische Werk Kilian Lipps, für das zwei Komponenten ganz wesentlich erscheinen, die dem gleichen, was Schirmer „offenes Auge und warmes Herz“ nannte. Das eine ist die sinnliche Empfindsamkeit, die das Auge mit der Fülle an Eindrücken versorgt, welche letztlich aber nicht ungefiltert, sondern durch die Klarheit des künstlerischen Gedankens ins gemalte Bild hinüberwechseln. Ich bezeichne als die beiden Pole seiner Bildwelt Abstraktion und Naturgefühl. Kilian Lipps auf den Erfahrungen der bildnerischen Mittel der Moderne aufbauendes Werk hat ungeachtet seines Abstraktionsgrades nicht zur Folge, an der lebendigen Vielfalt der natürlichen Phänomene oder den Gesetzen der Natur vorbeizumalen, ganz im Gegenteil. Mit einem durch die zeitgenössische Malerei und die eigene Arbeit sensibilisierten, von Schirmer noch in seiner Einfachheit als „kindlich“ bezeichneten Sinn, lernte und lernt Kilian Lipp vor und aus der Natur Formenzusammenhänge und Farbkonstellationen, in denen eine ähnliche Geschlossenheit und innere Harmonie wirkt wie in der Kunst selbst.

„Kunst sei eine Ordnung parallel zur Natur“, diese Weisung Paul Cézannes, die die Moderne einst begründet hat, kehrte auf subtilem Wege tief in das Herz der Arbeit Kilian Lipps ein, das sich zwischen Abstraktion und Naturerlebnis bewegt, aber mit einem ungeheuer reichen Klangvolumen und einem eigenen, letztlich unverwechselbaren Stil.

Dieser Stil, der immer das Verhältnis des Künstlers zu der von ihm gemeinten Wirklichkeit zeigt, ist das eigentlich Faszinierende an diesem Werk. Kilian Lipp pflegt Naturmalerei in des Wortsinns bester Bedeutung  und hat scheinbar alle Erfahrungen verinnerlicht, die seine vorausgegangenen Berufskollegen im Lauf von 200 Jahren in diesem Metier gemacht haben. Es steckt Impressionismus und Expressionismus darin, es wirkt darin ein Hang zur Abstraktion genauso wie die anhaltende Verbindlichkeit zu der umgebenden Natur, die die Vorgaben liefert. Es ist eine zeitgemäße Bilanz über die große Entwicklung dieser Gattung – und doch etwas Eigenes, Lyrisches, Poesievolles, das die Verletzlichkeit der Dinge dieser Welt feierlich zelebriert.

Seine Bilder haben etwas Einfaches und Ergreifendes. Das ist die Formel, unter die ich sein Werk stellen möchte. Man hat viel gesehen in den einhundert Jahren, seit die innere Verbindung der Kunst zur äußeren Natur aufgehört hat, eine Quelle der Inspiration zu sein. Man kennt alle Vereinfachungen, Abstraktionen, alle kunstvollen Experimente im Bereich der Gegenstandfreiheit, die natürlich auch eine große Unverbindlichkeit in der Kunst als Gefahr heraufbeschworen haben. Und dann steht man plötzlich vor solchen Bildern und weiß: so etwas hat man vielleicht schon einmal erwartet, aber hier ist es wirklich zu sehen, die wechselseitige und überzeugende Durchdringung eines hohen malerischen Anspruchs mit einer tiefen Naturverehrung. Und mögen es noch so heimatlich gestimmte Sujets und folkloristische Themen sein, die in Kilian Lipps Werken anklingen, es ist in jedem Fall deren malerische Form, die sie heraushebt, nicht nur aus dem Alltäglichen, sondern aus allem, was wir als Kunst zu sehen gewohnt sind.

„Malerei“, so Kilian Lipp, „ist für mich Kommunikation, ein ständiges Ausloten der eigenen Befindlichkeit, ein Befragen des Innern wie des Äußeren bis die Annäherung an einen Gleichklang entsteht.“

Das zentrale Wort in diesem Zitat ist das Wort Gleichklang, das sich zwischen innerer und äußerer Natur bildet und als Malerei sichtbar vor uns steht, gleichgültig, ob wir den Ausschnitt aus einem Berghang  oder eine abstrahierte tanzende oder musizierende Figurenszene vor uns sehen.

Was man in jedem Fall in seinen Bildern entdecken kann, sind nicht eigentlich figürlichen oder landschaftlichen Szenen seiner Region, es sind Ereignisse der Malerei, denn der Künstler, wenn er sich noch auf Gegenstände, auf Personen oder Landschaften bezieht, er steigert durch die konzentrierte Form und die intensivierte Farbe das Bild der Wirklichkeit, er löst es aus seiner Alltäglichkeit und erhebt es verwandelt in den Raum einer eigenen Poesie. Diese Verwandlung, dieser Schritt zu dem vom Maler gesuchten Gleichklang, geschieht gleichermaßen in einem Formprozess und im Medium der Farbe, und die Verzauberung durch diese Bilder liegt in ihrer Musikalität, dieser aus Farbtönen und Rhythmen geborenen Gleichklang, der die Welt nicht von außen zeigt, sondern sie viel eher als ein inneres Klangerlebnis beschreibt, an welchem wir - als Betrachter - mit unseren eigenen Sinnen teilnehmen können. Jene Leistung ist es, die wir in solchen Werken erkennen und anerkennen können, und wir tun es allemal, wenn wir mit unseren Augen diese farbigen Räume durchwandern. Der sinnliche Genuss ist unser Ertrag, und wir lernen die Welt aus einer gehobenen Perspektive wahrnehmen, die uns durch Malerei - und nur durch diese - vermittelt werden kann.

Kilian Lipp malt die Berglandschaft um Vorderhindelang, ihre Täler, die kleine Kapelle, die Stadelhäuser als Reste einer untergehenden Schlichtheit des ländlichen Lebens. Er zeigt uns den Durchgang der Jahreszeiten durch diese Welt, die Schneefelder, die Gärten voller Rosen, das Licht über abendlichen Horizonten. Und er zeigt seine Mitmenschen, Mädchen im Wald, Bauern bei Viehabtrieb oder beim Fest. Alles unterliegt dergleichen Geste des Malers, einer liebevollen und großzügigen Handschrift. Kilian Lipp führt uns seine Welt als eine noch erlebbare Einheit vor, eine große Besonderheit, aber das alles nicht in der herkömmlichen Bedeutung des Wortes. Seine Kunst ahmt nicht nach, er will nicht Gegebenheiten seiner Heimat und Seelenlandschaft dokumentieren, auch wenn er leidenschaftlich daran Anteil nimmt. Es greift die Dinge  seiner Umgebung behutsam auf, um vom Kosmos, vom Abenteuer der Malerei zu erzählen. Das ist sein Thema. Und erst, wenn er der äußeren Natur seine Bilder einer klar geordneten und zur Harmonie weiterentwickelten Farbigkeiten zur Seite stellen kann, sieht er seine Aufgabe als erfüllt: Malerei nicht nur als Abdruck eines Erlebnisses zu geben, sondern als das Erlebnis selbst. Und erst dann bekommen seine Arbeiten den roten Strich, als Signatur und Gütesiegel.

Prof. Dr. Bernd Küster

[i] Johann Wilhelm Schirmer an die Mutter, 24.3.1833. In: Katalog Johann Wilhelm Schirmer in seiner Zeit. Staatl. Kunsthalle Karlsruhe 2002, S. 79

Ursula Winkler M.A., Kunsthistorikerin und Leiterin der Museen Kempten

Kempten, den 1. Juli 2005

Kunst im Schloss - „Hinter dem Sichtbaren“ - Kilian Lipp in Bad Grönenbach

Kunst im Schloss – so heißt die höchst interessante Reihe, welche der Markt Bad Grönenbach an diesem wunderbaren Ort pflegt. – Er lädt zur Sommerfrische – in welchen Bildern kommen der Sommer, frische Luft, Licht auf Leinen, kühler Schatten unter Bäumen besser zum Ausdruck als in den Werken von Kilian Lipp – gleichwohl gibt es in diesen Bildern etwas Unsichtbares, etwas Tiefes, Anrührendes, Mythisches, Ewiges.

Diesem Faszinosum der Tiefe und Magie der Malerei Kilian Lipps möchte ich mich mit Ihnen annähern. Alles geben die Bilder nicht preis – sonst bräuchte man sie nicht, dann könnte alles gesagt und geschrieben werden. Aber Bilder sagen eben mehr als Worte.

Kilian Lipp kann hier im Hohen Schloss, in diesem geräumigen Herrschaftssitz fast 90 Gemälde zeigen, seine größte Ausstellung bislang überhaupt. Diese Räume passen hervorragend zur Malerei, da sie eben nicht wie die meisten neuen Kunstmuseen nur eine White Box mit blendenden Wänden sind. Vielmehr gibt die getönte Farbigkeit dieser Wände und auch die Ausstattung mit feiner Patina einen gewachsenen, fast familiären Rahmen. Selbst die vorhandenen Kruzifixe fügen sich in die Ausstellung. Durch die Größe der Ausstellungsflächen sind hier viele Werke zu sehen, die noch nie an die Öffentlichkeit gelangt sind. Wir erleben einen Querschnitt, der auch einige Frühwerke einschließt – und insgesamt einen Überblick über das Werk Kilian Lipps erlaubt – auch wenn man noch nicht von einer Retrospektive sprechen kann oder sollte. Kilian Lipp konnte auch, wie er sagte, Bilder aus der 2. Reihe seines Ateliers nach Bad Grönenbach mitbringen, schwierigere Bilder.

Wir können vergleichen die Werke der 1990er Jahre mit den heutigen, in denen der Maler sehr viel an Ruhe und zurückhaltender Ausgewogenheit gewonnen hat. Die Qualität war allerdings auch damals schon großartig, pastellig, vielfarbig, kontrastreich, aber auch flirrend, komplex, figurenreich.

Der Maler lässt uns eintauchen in seine Bildwelt, die sich aufs Erste gliedert in Landschaften, Blumenabstraktionen – ein inzwischen von Profis höchst selten gewähltes Sujet -, Naturszenen wie seine Bäume, Tiere und Menschenbilder, oder eher Darstellungen von Figuren, Typen, Archetypen.

Kilian Lipp stammt aus einer der schönsten Landschaften Deutschlands - für viele Menschen die Traumgegend - Hindelang, am Fuße des Oberjochs. Das Tal lebt schon lang vom Tourismus, auch wie Bad Grönenbach vom Gesundheitstourismus; so gab es dort z.B. zahlreiche Heime für kranke Kinder, die sich in der Höhenluft erholen konnten. Dieses Ostrachtal lockte schon im 20. Jahrhundert viele Künstler an, darunter Otto Modersohn, der ab 1926 häufig ins Allgäu kam, 1930 hoch am Südhang, auf dem Gailenberg eines der 13, von Wetter und Sonne dunkelbraun bis silbergrau verfärbten alten Bauernhäuser als zweiten Wohnsitz für die Familie erwarb. Mit ihm kamen Verwandte, die Malerin Olga Bontjes van Beek aus Fischerhude, der Kokoschka-Schüler Hans Meyboden, die Söhne des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck. Auch der Dichter Eugen Roth aus München weilte häufig in Bad Oberdorf und im Haus Otto Modersohns auf dem Gailenberg. Ein Sohn Gerhart Hauptmanns erwarb dort 1930 mit seiner Frau, einer bekannten Konzertgeigerin, ein Feriendomizil. 1948 wurde auf dem Gailenberg für wenige Jahre die Modersohn-Galerie eröffnet, ein privates Kunstmuseum der besonderen Art.

Kilian Lipp erblickte 1953 das Licht der Welt, an einem Ort im Allgäu, an dem sich Weltläufigkeit und Bodenständigkeit auf trefflichste verbanden. Seit seinen Kindertagen ist Kilian Lipp mit Kunst konfrontiert, einerseits durch ein hohes Anspruchsdenken seiner Berliner Mutter, andererseits durch die Nähe und Verwandtschaft mit der Künstlerfamilie Modersohn. Der Vater, über Generationen im Gebirgsleben und in der alemannischen Sprache verwurzelt, hat ihm das archaische und bodenständige Element vermittelt. Kilian Lipp musste das Allgäu allerdings erst einmal verlassen und zur See fahren, um die Malerei für sich zu erschließen, um ihr in der Folge aber konsequent treu zu bleiben und sie für sich weiter zu entwickeln. Heute lebt und arbeitet Kilian Lipp außer in Hindelang in der Toskana.

Über seine Arbeit sagt er selbst: "Wenn ich überhaupt eine Theorie habe zu meinen Bildern, dann ist es die Suche nach dem Wesentlichen.“

Kilian Lipp beschäftigt sich mit der Kulturlandschaft um seinen Wohnort: Formen der Landschaft, gewachsene Häuser, Kühe, Pflanzen. Menschen formuliert er als Teil der Landschaft, als Wesen, welche Naturgesetzen folgen. Er verbindet im Aufbau seiner Bilder Dynamik und Statik, Kraft und Ruhe, in starken Farbakzenten. Sehr zurückhaltend bindet er Details in die atmosphärische Szenerie. Was nun ist das „Wesentliche“ bei Kilian Lipp?

Wiederkehrende Motive stammen aus der Erfahrungswelt seiner Kindheit: Große mächtige Männer, heitere Mädchen und Frauen, Naturelemente im Zusammenklang. Den Begriff „Heimat“ vermeidet Kilian Lipp sehr bewusst. „Tradition“ bedeutet ihm Verantwortung in einem positiven Sinne wie auch Erstarrung in bedenkenswerter Hinsicht.

Kulturkritik oder das Unbehagen über den Wandel der bäuerlichen Lebenswelt findet beispielsweise im Stadelbild ihren feinsinnigen Ausdruck. Das Symbol der zusammen-gebrochenen Heuschinde verwendet Lipp für den wirtschaftlichen Rückgang der Landwirtschaft und den damit verbundenen Kulturverlust in der alpinen Welt. Der Titel der Bilder dieser Serie lautet „Die Verletzung“.

Kilian Lipp arbeitet also keineswegs als reiner Landschaftsmaler oder Naturromantiker, er zeigt uns nicht das vordergründige Bild des lieblichen, sonnigen Allgäus mit blauem Himmel und Gipfelkreuz, die italienische Landschaft mit Weinstöcken und Sonnenblumen. Kilian Lipp geht an seine Motive ganz nah heran, er entfernt aus seinen Naturszenen alles Zivilisatorische; da sieht man kein Lebenszeichen an einem Haus, einem Stadel, kein Vogel, kein Detail zuviel – leergeräumt bis aufs Wesentlichste. Jedes Gesicht, jeder Körper, jede Form ist ein Extrakt des Bildgedankens. Kilian Lipp malt damit das Gegenteil der Darstellungen der Werbeindustrie. Dennoch – oder gerade dadurch sind sie schön –schön im Sinne von komponiert und konzentriert. Die Reduktion auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner erhöht die Erkennbarkeit. Kilian Lipp malt ein Mädchen im Sommerlicht, z.B. die „Kleine Prinzessin“ am Eingang. Er macht damit die Freude, die Jugend, das Helle und Optimistische anschaulich. Seine jungen Frauen sind Personifikationen von Lebenskraft und Lebensfreude.

Hinter dem Sichtbaren sucht und findet Kilian Lipp instinktiv die ewige Form, den archaischen Menschen, der tanzt, den arbeitenden Menschen im Einklang mit natürlichen Ressourcen, den Menschen einer vormodernen Zeit im Rhythmus der Jahreszeiten, den von Zeitläufen und Moden unabhängigen Menschen. Selbstbestimmung und Freiheit sind Leitthemen bei Kilian Lipp; menschliche Existenz in einer seit alters übernommenen Struktur und Rolle. Kilian Lipp zeigt uns eine reine Natur in Würde und Dauer. Seine Nähe zum Motiv, zu Zypressen oder Bergen, und seine Symbole – das weiße Hemd oder die Perlen - vermitteln uns die Nähe zu Natur und wahrem Leben.

Bei Kilian Lipp wird alles zum Gleichnis, zum Symbol – er kündet von einer heilen Welt – und wir glauben ihm allzu gern. Kilian Lipp ist ein Meister der optischen Verführung. Seine Technik ist meisterlich und geeignetes Mittel zum Zweck. Charakteristisch sind vor allem die Farben, edle Ölfarben auf Leinwand. Die Palette reicht von warmem Hellweiß, cremigem Gold über leuchtendes Ockergelb, Pastelltöne wie hellblau, rose und braunrot, bis in die reichen Variationen von Grün, Braun und Blau. Reines Schwarz und reines Weiß verwendet Kilian Lipp nicht, da sie in der Natur nicht vorkommen. Die meisten Gemälde bleiben ohne Rahmen, da sie als Bildobjekt verstanden werden, so auch die Titel „Hirtenbild“ oder „Stadelbild“. Die einzelnen wenigen Rahmen sind oft alte Stücke wie der Silberrahmen aus Italien oder eine glatte goldene Leiste, welche die Farben des Bildes verstärkt.

Die kompositorische Spannung wird aus dem Thema der Bergwelt abgeleitet. Kilian Lipp malt keine ebene Landschaft. Seine Berghintergründe, die hohen Horizonte, die Buckel, Hänge, Abhänge haben auch etwas Abgründiges und Beunruhigendes. Meist fängt der Maler die fallende Fläche – in der Regel in der Diagonale von links oben nach rechts unten – wieder auf und formt sie zu einem harmonischen Ganzen. Eines der ausge-stellten Werke entstand 1997 in New York. Selbst das Abbild der Straßenschlucht und Wolkenkratzer erhält bei Lipp etwas Organisches und Topografisches.

Unter den ganz neuen Bildern findet sich der Springer, der Skiflieger, der als künstlerisches Leitmotiv über der diesjährigen Nordischen Weltmeisterschaft in Oberstdorf stand. Diesen „Bauern auf Holzbrettern“ möchte man sagen, hat Kilian Lipp inzwischen weiterentwickelt zum mächtigen Adler und zum Ikarus.

Hier im Refektorium des Hohen Schlosses ist die Schöpfungsgeschichte ausgestellt, die Schöpfung in 7 Bildern, für die 7 Tage, in denen Gott die Welt erschaffen hat.

  1. Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: ES werde Licht. Und es wurde Licht. Dieses Motiv stellt Kilian Lipp in einem zusammen gerahmten Triptychon dar, eine dunkle Wolke, expressiv schraffiert in einem lichten Himmel.
  2. Der Titel des 2. Bildes ist die Entstehung von Meeren und Gebirgen, gehalten in einem kraftvollen blau-braun-orange. Und Sie sehen auf diesem Bild deutlich den roten Strich, das Markenzeichen von Kilian Lipp. Fast jedes Bild erhält vom Künstler als Abschluss eine rote Linie, einen diagonal oder quer gesetzten letzten Pinselstrich, der das Werk als vollendet erklärt und gleichzeitig eine zusätzliche distanzierende Ebene schafft zwischen Betrachter und Bildraum. In dunklen Bildern vermag die rote Markierung die Farben zusätzlich zu steigern.
  3. Am 3. Tag schuf Gott die Pflanzen und Bäume. Dafür stehen die kräftigen Zypressen, Symbole des Wachsens und Gedeihens.
  4. Das 4. Bild steht für die Tiere: in breiten Pinselstrichen sind die Esel gemalt. Grafische Elemente wie der Zaun haben lockere, brüchige Konturen, in den Lipps sensible Malerei und Zeichnung sichtbar wird. Dieses Motiv ist ganz in erdigen Tönen gehalten und wirkt dadurch auch so natürlich stimmig.
  5. Am 5 Tag schuf Gott Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und mehret euch, und füllt die Erde.“ Das Paar steht für die Menschheit, die beiden stehen aneinander, nicht in ausgelassener Fröhlichkeit, sondern, wie so oft bei Lipp in innerer Übereinstimmung, in Vertrautheit. Das Licht steht auf Hemd und Bluse und leuchtet auch von innen heraus. Die vertikalen Bäume rahmen das Paar und die bunt treibenden Blätter geben dem Ganzen etwas Verspieltes und einen zusätzliche Richtung in die Horizontale.
  6. Als 6. Motiv steht der Tod. In starker Abstraktion ist eine Frau zu sehen, in sich zusammengesunken, hält sie ihr totes Kind in den Armen. Eine Trauernde, eine Pietà. Hier sehen wir ein Werk, das stark aktuelle Bezüge aufgenommen hat, Sarajewo, HIV – Begriffe für Elend, Tod, Verzweiflung sind mit aufgemalt. Ein Grabspruch von Rilke unterstreicht die Aussage.
  7. Den letzten Tag, an dem Gott ruhte, interpretiert Kilian Lipp mit Ikarus.

Ikarus war in der griechischen Mythologie der Sohn des Daedalus. Die beiden entflohen der Verbannung auf Kreta durch die Luft. Die Idee des Ikarus mit Federflügeln gilt auch als Traum vom Fliegen. Der Titel lautet „Die Erlösung“.

Kilian Lipp geht dabei wieder in das große Format und zu seinen farbig-hell leuchtenden Weißtönen. Leichtigkeit, Offenheit, Befreiung, Erlösung sind in diesem Bild sichtbar gemacht.

Der Maler Kilian Lipp ist hier in Bad Grönenbach stark vertreten, in einer Dichte, die uns staunen lässt. Wie in dem sehr informativen Text im Prospekt seht, braucht man zur Betrachtung der Werke keine philosophischen Kraftakte vorzunehmen, man darf sich auch einfach an der schönen, kultivierten Malerei erfreuen.

Das Sichtbare verweist auf das Unsichtbare. oder wie Pablo Picasso einmal gesagt hat: „Wir alle wissen, dass Kunst nicht die Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“

Prof. Karl Ruhrberg, Kunstkritiker und Publizist, ehem. Direktor der Düsseldorfer Kunsthalle und Museum Sammlung Ludwig

Auszüge aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Raiffeisenhaus 1986

„Die Landschaften und Figurenbilder von Kilian Lipp sind, wenn ich es einmal so salopp ausdrücken darf, nicht so „harmlos“, wie sie auf den ersten Blick aussehen mögen. Zwar malt Lipp wie der große Cezanne, der Erzvater der Moderne, „sur le motif“, wenn auch nicht im Anblick des Mont St. Victoire, sondern des Hindelanger Gailenbergs. Aber er macht keine Abbilder, sondern die Wirklichkeit wird interpretiert, die eigene subjektive Sicht, die eigene Empfindung werden mit ins jeweilige Bild gesetzt mit seinen verschwebenden, diffusen Konturen, mit ins Licht, das die differenziert, oft verschleierte Farbigkeit bestimmt.

Es gibt wenig Details zu sehen, aber viel Atmosphärisches. Es ist wohl erlaubt, vor diesen Bildern wieder einmal von „Stimmung“ zu sprechen, einer verhalten melancholischen Stimmung. „Archetypisch“, als in ihnen fast immer auch ein Stück Schöpfungsgeschichte steht: Landschaft und Figuren, Menschen und Tiere, Blätter und Bäume sind fast immer in einer Schwebelage: ihr trigonometrischer Punkt ist eine Zwischenstation zwischen Werden und Vergehen, man könnte auch sagen: zwischen Leben und Tod.

Dies wird ohne aufdringliche Symbolik, ohne Sentimentalität und ohne Pathos ins Bild gesetzt: der in die Tiefe stürzende Wasserfall, der schwebende Baum, die schwebenden, losen Blätter. Die figürlichen Arbeiten („Blasmusik“, „Tänzerin“ etc.) verfolgen die gleichen Prinzipien: keine Individualisierung, sondern eine stellvertretende Typologie, das „Ambiente“ nur angedeutet. Nichts Anekdotisches, keine ironische Brechung, die locker gemalten, verschwebenden Formen trotz des Verzichts auf strenge Komposition immer in der Balance. Dies alles muss man nicht bewusst registrieren, man kann sich auch ohne philosophische Kraftakte schlicht an der schönen, kultivierten Malerei erfreuen“.

Prof. Karl Ruhrberg, Kunstkritiker und Publizist, ehem. Direktor der Düsseldorfer Kunsthalle und Museum Sammlung Ludwig

Auszüge aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der Villa Jauss, Oberstdorf, 2000

„Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal über die Arbeiten von Kilian Lipp gesprochen und dachte, ich brauchte eigentlich nicht viel Neues zu sagen. Aber das war ein Irrtum: denn wie bei jedem guten Künstler gibt es auch bei Lipp keinen Stillstand, sondern stetige Weiterentwicklung seiner formalen und thematischen Qualitäten: eine Entwicklung ohne dramatische Risse und Sprünge, aber von großer Konsequenz. Unverkennbar ist eine immer intensivere Konzentration von Farbe und Form, eine immer präzisere Konturierung. Dies gibt den neuen Arbeiten einen bemerkenswerten Zuwachs an Dichte und Aussagekraft. Das betrifft auch das für Lipp typische Kontrastprogramm zwischen Melancholie und Heiterkeit, wobei die dunkleren Molltöne freilich immer noch dominieren.

Das Bild seines Freundes Alfred im Rollstuhl von 1993 ist bewegendes Beispiel für künstlerisch gestaltete menschliche Teilnahme ohne Abgleiten ins Sentimentale. Das gleiche gilt für die künstlerisch heikle Darstellung einer Mutter mit ihrem toten Kind in den Armen oder für das eindrucksvolle Bild eines Baumes mit offener Wunde unter dem Titel „Der Schmerz“, in dem übrigens die für Lipp so typische Schwebelage zwischen Realität und tieferer Bedeutung auf lapidare Weise bildnerische Gestalt gewinnt.

Die andere Komponente im Schaffen des Malers – und wohl auch in seiner Lebenshaltung – kommt in der lichtdurchfluteten, gewichtlos schwebenden Darstellung der „Sonnenblumen“ ebenso zum Ausdruck wie im wirbelnden „Waldfestbild“, der „Blasmusik“, dem „Jodlerbild“ oder im „Tanzbild“.

Lipps Themen – das lassen schon die Bildtitel erkennen – liegt stets eigenes Erleben zugrunde. Landschaften und Ambiente entstammen entstammen in den meisten Fällen der heimischen Umgebung. Doch der Künstler ist darum kein „Heimatmaler“. Die Heimat wird ihm vielmehr zur Welt, seine Figuren sind „Stellvertreter“ ohne individualistische Details. So wird die sichtbare Wirklichkeit zu einer bildnerischen Realität, die aber so gut wie nichts mit einem vordergründigen Realismus zu tun hat. Diese formale „Übersetzung“ ist es, welche die Qualität der Arbeiten wesentlich mitbestimmt.

Dr. Thomas Weiß, Leiter der Museen Kempten / Allgäu

Aus Sammlungen der Stadt Kempten / Allgäu Kataloge und Schriften, Band 4

„Das Bild soll ein Erlebnis einschließen, das mit Worten und Gedanken nicht einzuschließen ist. Es ist die Meinung des Bildes selbst, auf die es ihm ankommt und die man selbst für sich spüren muss. Empfindungen sind ihm dabei genauer als Gedanken.

Bewusst oder unbewusst setzt Kilian Lipp eine Erkenntnis in unsere moderne Zeit um, die bereits Goethe in seinem „Laokoon“ formuliert hat: „Ein echtes Kunstwerk bleibt wie ein Naturwerk für unseren Verstand immer unendlich: es wird angeschaut, es wirkt, es kann aber eigentlich nicht erkannt, viel weniger sein Wesen, sein Verdienst mit Worten angesprochen werden.

Zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion werden Ausschnitte oder Details gleichsam unter dem Mikroskop immer weiter in den Bildvordergrund gestellt. Für den nachsichtigen Betrachter stehen isolierte Farbwerte nebeneinander, die sich erst durch größeren Abstand des Betrachters zum Bild als Produkt der Natur verdichten.

Der archaische Eindruck in der Gesamtwirkung der Bilder im Wechselspiel mit den anspruchsvollen, symbolhaften Bildinhalten sowie dem Vortrag in einer spontanen Malweise geben seinen Werken etwas Bleibendes und Beeindruckendes. Damit ist auch der hohe Anspruch verbunden, der untrennbar mit dem Denken und Arbeiten verknüpft ist: „Ich möchte mit meinem Malen nicht die Welt oder die Gesellschaft verändern – ich möchte mein Verhältnis zur Welt verbessern“.

Reinhard Müller-Mehlis, Kunstkritiker, München

Auszüge einer Rede im Kunstforum Oberes Allgäu, 1993

„Universum ist ihm überall: Er ist Pantheist. Gott ist in der Schöpfung, in der Natur, im Sichtbaren. Wir begegnen ihm.

Bei Kilian Lipp wird alles zum Gleichnis, zum Symbol – und verliert doch nicht seinen Charakter des Sichtbaren, Greifbaren. Wir sehen in diesen Bildern erneut, ein wie würdiger und wichtiger Maler in der Nachfolge Otto Modersohns doch Kilian Lipp geworden ist. Meist kann ein Maler die Landschaft, der er entstammt, gar nicht so gut sehen. Meist sind Maler fasziniert angesichts des Ungewohnten, Fremdländischen. Kilian Lipp dagegen erkennt das Vertraute immer wieder neu: einen Winter am Gailenberg, einen Frühling, ein Tal, ein Abend, Gipfel und Weiden, Häuser und Hütten. Romantiker ist er im Sinne des Einswerdens mit der Natur“.

Carolin Keim, Kulturwissenschaftlerin, Kempten

Vortrag über Kilian Lipp am 14. Juli 2007 - Auszug

Der Stil von Kilian Lipp ist ein ganz eigener, unverkennbarer und enthält doch einen Kosmos an vorausgegangener Kunstgeschichte und Menschheitswissen: Das Verschwimmen von Konturen und das besondere Licht der Bilder erinnert an den Impressionismus, die ausdrucksstarken Formen und die Ausschnitte an den Expressionismus, und dabei bleiben die Bilder in einer Schwebe zwischen Figürlichkeit und Abstraktion, die dem Betrachter zwar gewisse Vorgaben macht, ihm aber dabei viel Offenheit bietet, eigene Assoziationen und Emotionen einzubringen.

Gabriele Kriessler - Kunsthistorikerin. Oberursel / Frankfurt

Kunsthistorische und psychologische Aspekte zu Kilian Lipp

1953 in Hindelang im Allgäu geboren und aufgewachsen, fährt Kilian Lipp mit dem Ziel Schiffsbauingenieur zu werden zur See. In der Auseinandersetzung mit der ungebändigten Natur wird ihm seine eigentliche Berufung bewusst, er bricht sein Vorhaben, Ingenieur zu werden ab und schreibt sich für eine Ausbildung in Design an den Hochschulen in Aachen und Krefeld, Schwerpunkt Malerei und Plastik, ein.

Von da an ist Kilian Lipp Maler. Inspiriert und irritiert von Dozenten und Vorbildern versucht er sich eine Zeitlang in verschiedenen Malrichtungen, doch sein ihm eigener Malstil bildet sich schnell heraus. Angeregt von Cezannes Didaktik des sur le motiv, nicht als romantisierend verstanden, sondern als Grundsatz zur Auseinandersetzung mit der Natur und Monets lebensbejahender und naturfroher Grundstimmung findet er seinen Weg, sein persönliches Verhältnis zur Natur bildhaft darzustellen. Mit Cezanne verbindet ihn eine tiefe Erd- und Heimatverbundenheit, bei Kilian Lipp die gebirgige Landschaft des Allgäu, wobei er eine wie der andere die impressive Wiedergabe des „vor dem Motiv“ Gesehenen in eigenständige „Harmonie (des Bildes) parallel zur Natur“ überführt und im Abbild der Wirklichkeit einen in ihr selbst nicht vorhandenen Zusammenhang der Einzeldinge herstellt. Und wie beim späten Monet wirkt auf den Betrachter viel Atmosphärisches ein, wie man es bei gutem Wetter um diese Jahreszeit zum Spätnachmittag hin mit empfinden kann, wenn Konturen verschwimmen, Farbspiele Zwischenreiche schaffen, sphärische Luftspiegelungen zu Traumgespinsten werden, trudelnde Blätter und das Aufgehen des Horizontes in Nichts Vergänglichkeit evozieren.

"Beim Malen bin ich allein, höre Musik, denke an nichts und erkenne trotzdem..."

Lipp nennt ein Zitat von Richter: „Man muss mehr malen als man weiß“. Ist dies nicht ein Vorgang des Unbewussten, währenddessen Symbole und Zeichen, in Worten nicht zu definieren, ein Medium finden und manifest werden. Alles, was betrifft, berührt, bewegt ist im Unterbewussten präsent. In unterschiedlich tiefen Schichten flüstert und ruft, bedroht und beglückt, hält gefangen oder befreit es.

"Malen heißt befragen und abtasten. Meine Bilder sind mehr als meine Welt, sind Geheimnisse, sind Heimat und Empfindung."

Den Wunsch, heimatliche Landschaften und Sujets darzustellen verspürten im 19. Jahrhundert auch Künstler in England und Frankreich ausgehend von den englischen Landschaftsmalern Constable und Turner hatten sich in Frankreich Künstler im Wald von Fontainebleau zusammengefunden, um in bewusster Ablehnung komponierter und akademischer Malerei ihre Sicht von Natur umzusetzen.

Barbizon wurde zum Inbegriff einer neuen Landschaftsmalerei, deren Erfassen von Stimmungen und Atmosphäre Wegbereiter für die kommende Richtung des Impressionismus wurde. Im Wald von Fontainebleau fanden sie ihre Motive, die bis dahin als unkünstlerisch empfunden worden waren. Das Ethos des Einfachen und Ursprünglichen rückte in das Bewusstsein. Eine ähnliche Entwicklung ereignete sich etwas später auch unter den deutschen Künstlern.

Beides, Motive und eine besondere Sehweise, machen diese Künstler zu Seelenverwandten. In der Suche nach dem Gehalt, der Substanz der Dinge, geht Kilian Lipp jedoch einen entscheidenden Schritt weiter. Kilian Lipps Landschaften sind keine gefälligen Naturbeobachtungen, es sind Seelenlandschaften. Ausgehend von dem – „sei du“ – Arnold Böcklins und um der Natur so nahe wie möglich zu kommen, findet dieser stille, tiefe Mensch hier seine eigene Welt, seine eigenen Märchen. Anders als die Impressionisten, denen die Abwendung der realen Darstellung zu Gunsten einer intimen, persönlichen Sicht eine ungeheure Neuerung war, ist die Sehweise Lipps eine zutiefst psychologische.

"Die Themen, die ich behandle sind oft nur Ursache oder Motiv eines Zustandes, den ich befrage."

Akzidenzien der umgebenden Natur werden Urbilder, Archetypen, die seit Menschengedenken gültig sind, aber erst in der Neuzeit in der Traumdeutung und Psychoanalyse erkannt wurden. Macht, Gewalt, Schönheit, Schroffheit, alles was Natur beinhaltet füllt die Seele aus. Alles, was betrifft, berührt ist im Unterbewusstsein präsent. In Zeichen und Symbolen finden sie ihr Medium zur Bewusstwerdung.

Wasser als Urelement, der Ursprung des Lebens ist auch der reißende Strom, Quelle der Überschwemmung, Sintflut. Der schützende Berg birgt die tiefe Schlucht, die in die Tiefe reißt, in die Unterwelt, in Angst und Schrecken. Der Baum, wie der Mensch eine zum Himmel weisende, aufrechte Gestalt, aber tief und fest verankert muss er im Boden sein, sonst kann der Stamm die innewohnende Kraft nicht aufrecht halten. Darüber hinaus ist er unendlich reich an Symbolgehalten. Seine immer wieder erneuerte Lebenskraft verkörpert den beständigen Sieg über den Tod. Gerade die Zypresse gilt vielen Völkern des Mittelmeerraumes als heiliger Baum und Lebensbaumsymbol infolge ihrer Langlebigkeit und ihres beständigen Grünens. Auf Grund ihrer Beziehung zu Göttern der Unterwelt in der Antike wurde sie häufig auf Friedhöfen angepflanzt, christlich umgedeutet als Unsterblichkeits- und Paradieseszeichen.

Was wollen die drei Zypressen dem zarten Mädchen im unschuldig weißen Kleid mitteilen? Es sind drei - drei ist die Zahl der Vollkommenheit, der Schlüssel des Weltganzen und nach Augustin die Symbolzahl der Seele. Drei Tage war Jonas im Walfischbauch und Christus im Grab, drei Engel besuchten Abraham und drei Frauen standen am Grab Jesu.

Nirgends sind Angst und Freude, Niederlage und Triumph so dicht beieinander angesiedelt wie im Märchen. Die Tanzbilder aus der Reihe der Figurenbilder zeigen junge tanzende Mädchen in unschuldiger Anmut, barfüssig und häufig in reines weiß gekleidet. Ist es die Goldmarie oder Aschenputtel unter dem Baum am Grab der Mutter? Oder die unbändige Freude am Lebendigsein?

Andere Figurenbilder zeigen junge Burschen bei der ländlichen Arbeit. Der Hirtenjunge mit der Kuhherde, der Schlittenzieher – immer wieder gewährt uns der Künstler Einblicke in das tägliche, zumeist rauhe Leben seiner Heimat – jedoch wird Indiskretion verwehrt – Unschärfe und das Fehlen von persönlichen Gesichtszügen erlauben Anteilnahme, typologische Identifikation.

Berge, Schluchten, Wasser und Bäume, Häuser – immer wieder tauchen diese Zeichen im Werk Kilian Lipps auf, verweisen auf eine Urmacht, die allem innewohnt und die jeder für sich erkennen und benennen muss. Manchmal hilft dem Betrachter das Leuchten ziegelroter Dächer oder das Strahlen blauer Bergmassive, um der melancholischen Stimmung entgegen zu wirken – oder der gleißend helle Weg, der durch das Dickicht der Bäume zum Ziel führt.

Lachen, weinen, zweifeln, hoffen, glauben, lieben, das alles ist Teil eines erfüllten Lebens, das in den Bildern Kilian Lipps seinen Ausdruck findet, aber niemals als Klischee, nie als Kitsch oder hoffnungslose Verzweiflung. Die Elemente haben Einzug gehalten in diese Bilder mit aller Macht - Feuer, Wasser, Licht und Finsternis, die Schöpfung ist noch nicht beendet, der Mensch nimmt Anteil daran – ob zum Guten oder zum Bösen ist noch nicht entschieden.

Zwei der Gemälde – Tod und Erlösung - evozieren schon durch den Titel religiöse Inhalte. Anlass zur Entstehung dieser Bilder war ein Symposion in Kempten, das den Titel „Gezählt, gewogen, geteilt“ führte. Angesprochen in erster Linie bildende Künstler und bezogen auf die Bibelstelle „Daniel 5,25 AT mene mene tekel u parsin: gezählt, gewogen und geteilt“. Für Kilian Lipp wird der letzte Begriff der ausschlaggebende: geteilt – was bedeutet geteilt – für Baltazar bedeutete es die Teilung, bzw. Untergang seines Reiches - für den Künstler die innere Zerrissenheit, die der reflektierende Mensch auf sich nehmen muss. Es gibt keine Sicherheit, es gibt auch das Absolute nicht – oder wir sind nicht in der Lage es zu erkennen. Manche seiner Bilder zeigen nur einen Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhang. Den Bäumen fehlt die Krone, von einem Baum ist überhaupt nur der im Boden verankerte Teil des Stammes zu sehen, auch das ein Versuch, die Substanz, das allem zugrunde liegende Prinzip zu erkennen, das im Kleinen wie im Großen wirkt? Die Mutter mit dem toten Kind, der Erlöste neben dem Baum – ihre Körper wirken wie aus grobem Holz geschnitzt, sie haben nicht die Leichtigkeit der Figuren der tanzenden Mädchen, es ist geradeso als wollte der Maler die in ihm hochkommende Trauer bannen, indem er die Körper in ein Holzkorsett zwingt.

Das Grundübel, um die eigenen Grenzen der Erkenntnis zu wissen, führt einen Aspekt ein, der in vielen der Bilder seinen Ausdruck findet. Wie ein Mal auf etwas Unbestimmtes hinweist, verweisen rote Spuren auf innere Konflikte des Menschen Kilian Lipp, Manchmal ziehen sie sich quer über das Bild – geradeso als versuchten sie, eine künstlich erzeugte Harmonie, etwas, das keinen Bestand hat aufzubrechen, um damit einer tieferen Wahrheit auf die Spur zu kommen. Apokryphen Zeichen gleich, die Wege aufzeigen - wie die Traumpfade der Ureinwohner Australiens, die die Weisheit und Erkenntnisse der Ahnen und den Weg ihres Leidens bewahren.

Die Malerei wird nicht sterben, solange Menschen sich und ihre Umwelt wahrnehmen und sich und ihre Stellung darin in Frage stellen, werden Künstler Bilder malen, Malerei schaffen und es spielt keine Rolle ob das in photographisch–realistischer Manier oder einer anderen geschieht; wird Musik komponiert werden, die unmittelbar aus dem Bauch kommt. Kunst wird von Künstlern geschaffen und Künstler sind Menschen mit einer ausgeprägteren Sensibilität als andere – wie sie diese ausleben, wird immer ihr Geheimnis bleiben und deshalb wird auch Kunst immer aufregend sein.

Irmtraud Brunk, Feuilleton Allgäuer Zeitung

„Kilian Lipps Farbpalette ist von dunklen Molltönen geprägt, über denen oft ein leichter Schleier liegt. Nächtlich dunkel mit Farbflecken, die weich aus dem Schwarz schimmern, sind seine neuen Stadlbilder. Man braucht Ruhe und Abstand, um sich ganz in sie hineinsehen zu können“.

„Kunst hat die Aufgabe, die Menschen in Ihrer Wirklichkeit zu trösten“

Malerei ist Kommunikation – ein ständiges Ausloten der eigenen Befindlichkeit, ein ständiges Befragen des Inneren und Äußeren – bis die Annäherung an einen Gleichklang entsteht. Ein Versuch, oder besser die Möglichkeit, das Sein zu definieren. Der Gegenstand der Befragung ist nicht vordergründig im Motiv zu finden, sondern immer in der Komplexität des Bildganzen. Könnte man eine klare Übersetzung von Malerei in Sprache definieren, gäbe es keine Malerei, d. h. es bleibt immer ein mühsamer Versuch, Kunst zu erklären. Meine Bilder sind Ausdruck einer tiefen Liebe zum Menschsein, zum Leben.

Kilian Lipp